Fahrradklima-Test 2020: Falschparker bremsen Neusser Radfahrer aus
Neusser fahren gerne Rad, doch sie fühlen sich von Falschparkern, Ampeln und Baustellen ausgebremst. Das ist die auffälligste Erkenntnis aus dem Fahrradklima-Test 2020, der mit 511 Teilnehmern so viel Resonanz hatte wie noch nie.
Beim Fahrradklima-Test des ADFC bleibt Neuss mit einer Note von 4,0 (2018: 4,1) nur Mittelmaß. Die Quirinusstadt belegt bei den Städten von 100000 bis 200000 Einwohnern bundesweit Platz 17 von 41 - eine minimale Verbesserung gegenüber der letzten Umfrage vor zwei Jahren (Platz 20). Im NRW-Vergleich steht Neuss auf Platz 4 von 15 bei den "kleinen Großstädten" deutlich besser da, was aber auf das unterdurchschnittlich schlechte Abschneiden von NRW-Städten im Bundesvergleich zurückzuführen ist. Aufschlussreich ist der Vergleich mit dem vier mal so großen Düsseldorf: Obwohl große Städte beim Fahrradklima-Test wegen des stärkeren Verkehrs im Schnitt deutlich schlechter abschneiden als kleinere, liegt der rechtsrheinische Nachbar trotz seines Größennachteils mit Neuss fast gleichauf (Note 4,1). Wo lässt Neuss Chancen liegen? Dafür haben uns die Ergebnisse der Fahrradklima-Tests im Detail angeschaut.
Dauerärgernis Falschparker
Die schlechteste Bewertung erhielt Neuss bei der Frage nach der Falschparkerkontrolle - eine glatte fünf auf der Schulnotenskala von eins bis sechs. "Wir müssen als ADFC-Aktive immer wieder feststellen, auch weil wir zahlreiche Beschwerden bekommen: Die Verkehrsraumüberwachung in Neuss ist viel zu nachlässig und bekommt völlig zu Recht von den Radfahrenden die Note mangelhaft." sagt ADFC-Sprecher Heribert Adamsky. Wenn die Verwaltung es durchgehen lässt, dass Radwege und Straßenecken immer wieder zugeparkt werden, dann "verzieht" sie die Autofahrer zu falschem Verhalten. Und das ist nicht nur ärgerlich, sondern auch gefährlich. ADFC-Vorstandskollege Joachim Sinzig erklärt, warum: "Ist der Radweg durch einen Falschparker blockiert, müssen Radfahrer auf die Fahrbahn ausweichen, das kann schnell mal brenzlig werden." Für diese Zustände ist aber auch die Politik verantwortlich, denn in der vergangenen Ratsperiode wurde ein Antrag der SPD, die Verkehrsraumüberwachung personell zu stärken, noch mehrheitlich abgelehnt.
Der ADFC fordert deshalb: "Die Politik muss die Verkehrsraumüberwachung personell stärken und die Verwaltung beauftragen, konsequent gegen Falschparker auf Rad- und Gehwegen und an Straßenecken vorzugehen. Ein fraktionsübergreifend gefasster Beschluss wäre jetzt das richtige Signal."
Ampelschaltungen
Die schlechte Bewertung der Ampelschaltungen in Neuss mit einer 4,9 spiegelt sich auch in den Hinweisen wieder, die viele Umfrageteilnehmer im Freitextfeld des Fragebogens hinterlassen haben. Sehr häufig wurde hier bemängelt, dass man große Kreuzungen nur mehrzügig queren kann und dann auf zu schmalen Mittelinseln im brausenden Verkehr warten muss. Besonders die Bergheimer Straße in Reuschenberg wird hier immer wieder genannt. Adamsky kommentiert: "Da muss dringend etwas geschehen, besonders für Kinder sind solche mehrzügigen Querungen brandgefährlich. Sie verstehen oft nicht, dass sie in der Mitte erneut warten müssen. Und für Lastenräder oder Räder mit Anhängern reicht der Platz oft nicht aus."
Baustellenführung
Mit einer Note von 4,8 bekommt die Radverkehrsführung in Neusser Baustellen die drittschlechteste Bewertung. Immer wieder wird das Schild "Radfahrer absteigen" angebracht oder der Radweg einfach unterbrochen. "Hier müsste die Verwaltung den ausführenden Firmen strengere Vorschriften machen und deren Einhaltung auch öfter kontrollieren." Stadtbekannt und besonders ärgerlich ist die inzwischen schon mehr als zwei Jahre andauernde Unterbrechung des Radwegs an der Baustelle Further Straße 21 durch ein quer darüber verlegtes Stromkabel. "Die Absicherung des Stromkabels mit einer Kabelbrücke entspricht den Vorschriften", kommentierte die Verwaltung auf Anfrage des ADFC. Aber Fahrradfahrer müssen bis zum Stillstand bremsen, und Rollstuhlfahrer schaffen diese Hürde nicht. Fahrrad- und rollifreundlich wäre es, wenn die Stadt den Bauträger verpflichtete, das Kabel mit einer Aufhängung über den Weg hinweg zu führen.
Radwege
Seit einigen Jahren setzt die Stadt zunehmend auf Angebotsstreifen, die Radfahrenden auf der Straße Platz reservieren soll. Doch diese auch Schutzstreifen genannten unterbrochenen Markierungen erfreuen sich im Fahrradklima-Test keiner großen Beliebtheit. Das entnehmen wir den Textmitteilungen aus der Online-Befragung wie dieser: "Es gibt viele Fahrradschutzstreifen und nicht so viele Fahrradwege. Oft fehlt eine physische Barriere, die würde das Fahrradfahren viel angenehmer manchen und eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls herbeiführen." Tatsächlich führen Schutzstreifen und auch Radfahrstreifen oft gefährlich nah an parkenden Autos vorbei und verleiten manchen Autofahren zu knappem Überholen. Viele Radfahrende wünschen sich deshalb statt der Schutzstreifen baulich getrennte eigene Radwege - getrennt nicht nur von der Fahrbahn, sondern auch von den Fußwegen. Denn Konflikte mit dem Fußverkehr möchte man natürlich auch nicht.
Wo andere Städte besser sind
Interessant ist auch ein Blick auf die Fragen, wo Neuss besonders weit unter dem Durchschnitt beurteilt wird. Dazu gehören die nach dem Winterdienst und der Reinigung von Radwegen allgemein. Die zuständige AWL verfügt über lediglich zwei radwegtaugliche Räumfahrzeuge und muss damit auch noch vertragliche Verpflichtungen beim Winterdienst an Kreisstraßen außerhalb des Stadtgebiets bedienen. Das ist viel zu wenig, wie dieser Winter wieder gezeigt hat. Der ADFC hat bereits bei Politik und Verwaltung Verbesserungsbedarf angemeldet. Auch bei der Frage nach öffentlichen Leihrädern schneidet Neuss weit unter Durchschnitt ab. Kein Wunder: Lediglich an der Radstation (außer sonntags) und an einigen touristischen Standorten des Niederrheinrads kann man in Neuss Fahrräder ausleihen. Hier könnten die SWN und der VRR mit Mobilstationen an wichtigen ÖPNV-Haltestellen ein attraktives Angebot an Leihrädern schaffen, das die öffentlichen Verkehrsmittel ergänzt.
Was Radfahrer in Neuss gut finden
Mit einer 2,6 bekommt die Erreichbarkeit des Zentrums in Neuss die beste Note. Das ist ein klares Zeichen, dass die Radfahrer die kurzen Wege zu schätzen wissen - ein Standortvorteil, den die Stadt nutzen kann und auch noch ausbaut: Zum Beispiel mit der durchgehenden Öffnung der Bergheimer Straße stadteinwärts, mit dem neuen Radweg von Grimlinghausen nach Gnadental oder mit dem Radweg am Erftkanal zwischen Obertor und Kehlturm. Mit solchen Projekten kann die Stadt bei den Radfahrern punkten. Auch die Öffnung von Einbahnstraßen - zuletzt der Kapitelstraße und der Kanalstraße - verbessert die Erreichbarkeit des Zentrums und wird von den Teilnehmern der Umfrage mit einer zwei vor dem Komma bewertet, ebenso wie das zügige Radfahren, das dadurch möglich wird.
Bemerkenswerterweise bekommt auch die Frage "Macht Radfahren in Neuss Spaß oder Stress?" recht gute Bewertungen (nicht nur in Neuss) - ein klares Zeichen dafür, dass die Menschen Rad fahren wollen.
ADFC-Sprecher Adamsky zieht Bilanz: "Die Teilnehmer am Fahrradklima-Test fahren gerne Rad. Wenn sie dennoch bei vielen Fragen zu negativen Beurteilungen kommen, dann sollte das Ansporn für Politik und Verwaltung sein, das Radfahren in Neuss attraktiver zu machen."
Radfahren und Corona
Weil die Corona-Pandemie das Mobilitätsverhalten aller Menschen stark beeinflusst, wurden im Fahrradklima-Test auch zu diesem Thema einige Fragen gestellt. Mit 64 Prozent ist eine deutliche Mehrheit der Befragten der Ansicht, dass die Bedeutung des Radverkehrs in der Corona-Pandemie eher gestiegen ist (durchschnittliche Bewertung 3,0 auf der Skala von 1 bis 6). Aber nur eine Minderheit von 7 Prozent konnte in Neuss handfeste Radsignale wie Popup-Bikelanes, Fahrradstraßen, verkehrsberuhige Zonen als Reaktion der Stadt auf die Pandemie erkennen. Und auch nur 17 Prozent meinten, dass die Politiker in der Pandemie das Radfahren neu entdeckt haben.
Dass die Befragten mehrheitlich der Ansicht sich, dass das Radfahren in der Pandemie wichtiger geworden ist, Verwaltung und Politik darauf aber kaum bis gar nicht eingegangen sind, entspricht auch unserer Erfahrung im ADFC. Nicht nur in Neuss haben viele Menschen volle Busse und Bahnen gescheut und sind lieber mit dem Rad gefahren - auch, um den durch Homeoffice und manchmal leider auch durch erzwungene Untätigkeit infolge Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust bedingten Bewegungsmangel auszugleichen. Unsere Bitte an die Verwaltung, auf dem Theodor-Heuss-Platz die Radwege als abmarkierte Sonderstreifen auf die Fahrbahn zu verlegen ("Popup-Bikelenes"), damit sie dort besser vorankommen und die Fußgänger mehr Abstand zueinander halten können, wurde abgelehnt. Und anders als Düsseldorf hat die Stadt Neuss in ihrer Allgemeinverfügung zur Corona-Pandemie Radfahrende nicht ausdrücklich von der Maskenpflicht ausgenommen. Das Ordnungsamt ist daher der Auffassung, dass für Radfahrer eine Maskenpflicht besteht. Rad fahrende Brillenträger können es nur verkehrt machen: Ohne Maske riskieren Sie ein Ordnungsgeld, mit Maske und beschlagener Brille die Verkehrssicherheit. Dabei liegt die Lösung auf der Hand: Popup-Bikelanes und eine Aufhebung der Benutzungspflicht von gemeinsamen Rad- und Gehwegen würden für eine saubere Trennung von Rad- und Fußverkehr sorgen, und Masken beim Radfahren bräuchten kein Thema mehr zu sein.
Der ADFC-Fahrradklima-Test ist die größte Befragung zum Radfahrklima weltweit und wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans gefördert. In der Umfrage werden rund 30 Fragen zum Radfahren gestellt.
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